information & entwicklung
Die Grenzen des Kindes achten:
WEDER PÜPPCHEN NOCH TEDDYBÄR
Erziehung ist (k)ein Kinderspiel
Illustration: © Eugen Kment
16 SEPTEMBER 2015
Mag.
a
Maria Neuberger-
Schmidt
Autorin und Gründerin
Verein Elternwerkstatt
www.elternwerkstatt.atFoto: Ingrid Perger
Elternwerkstatt
D
er späte Vater liebt seine einzige
Tochter Mira, 10, abgöttisch. Sie
ist sein Stolz und das zeigt er
auch gerne in der Öffentlichkeit,
manchmal durch übertriebene Zärtlich-
keiten. Dabei achtet er nicht auf ihren
Widerstand, wenn er ihr z.B. scheinbar
vertraut über ihren Kopf tätschelt. Auf
ihr „Papa, lass das!“ meint er verharm-
losend „Du bist mein Zuckerpüppchen!“
Wird sie unwirsch, so wirft er ihr vor
„Sei nicht so zickig!“ Zu Freunden meint
er erklärend: „Sie ist schon in der Vorpu-
bertät!“
„DU BLÖDER PAPA!“
Auch zu Hause gibt es Szenen, wo sich
Mira seinen gekünstelten Annäherungs-
versuchen verweigert. Statt ihr „Das
will ich nicht!“ ernst zu nehmen, neigt
er zur Ironie „Das war doch nur ein
Spaß!“ worauf sie direkt mit „Du
blöder Papa!“ kontert und er
mit „Sei nicht so frech!“, so
als wäre sie die Böse. Spaß
an falscher Stelle ist oft
nur die Verkleidung einer
Grenzüberschreitung, die ver-
schleiert, dass man die Würde
des Kindes missachtet.
KEINE GRENZÜBERSCHREI-
TUNGEN
Der Vater erzeugt in Mira ambiva-
lente Gefühle. Kinder sind nicht
die Püppchen und Teddybären
für unseren Liebesbedarf oder
unser Geltungsbedürfnis.
Wenn Eltern die Grenzen ihrer
Kinder und ein gelegentliches
Stopp akzeptieren, dann gewinnen sie
ihr Vertrauen zurück. Durch Wohlwol-
len, Offenheit und Echtheit schaffen wir
die Vertrauensbasis, die nötig ist, um
Zärtlichkeit entstehen zu lassen. Akzep-
tieren wir auch, dass Kinder ein unter-
schiedliches Bedürfnis nach Nähe haben,
und dass sie diese oft unterschiedlich zu
beiden Elternteilen ausdrücken. Wenn
wir uns nach einer Umarmung sehnen,
so dürfen wir das offen sagen, uns aber
nicht aufdrängen.
Es ist wie bei Kätzchen. Wenn man sie
fängt und drückt, kratzen oder fliehen
sie. Wer da ist und warten kann, auf den
kommen sie zu, holen sich Zuwendung,
lassen sich streicheln und gehen, wenn
sie genug davon haben - um wieder zu
kommen.
SCHRITT ZUM MISSBRAUCH
Aufgedrängte Zärtlichkeiten sind der
erste Schritt zum Missbrauch, auch
wenn er weder beabsichtigt ist noch
tatsächlich stattfindet. Kinder, denen
nicht gestattet wird, sich abzugrenzen,
werden auch leichter Missbrauchsopfer
durch Fremde. Die Grenze eines Kindes
zu achten bedeutet tiefen Respekt. Darin
zeigt sich die wahre Liebe.