Keine zwei Patienten sind gleich:
MASSGESCHNEIDERTE THERAPIEN AUS DEM LABOR
15 | SEPTEMBER 2015
information & gesundheit
Thomas Kolbe
Fachwissenschaftler
für Versuchstierkunde,
Ass.-Prof. für die
Service-Plattform
Biomodels Austria
Veterinärmedizinische
Universität Wien
Personalisierte Medizin?!
Foto: © Dreaming
Andy-Fotolia.comEin Problem dabei ist, dass in Phase 1 häufig
nordamerikanische oder europäische junge Män-
ner zum Einsatz kommen.
Vor allem männliche Studenten brauchen Geld
(es gibt eine finanzielle Entschädigung, die sich
nach dem Aufwand für den Tester richtet) und
sie sind risikobereiter als weibliche Studenten
oder andere Bevölkerungsgruppen. Wie wirkt ein
neues Medikament aber auf Frauen, alte Men-
schen, Menschen afrikanischer oder asiatischer
Abstammung? Das zeigt sich leider erst, wenn
der Wirkstoff weltweit im Handel ist. Reprä-
sentativ zusammengesetzte Testgruppen sind
sehr schwer zu finden und daher keine wirkliche
Option für die Pharmaunternehmen.
Um aus diesem Dilemma herauszukommen,
geht die Medizin in Richtung „personalisierte
Medizin“. Durch Sammeln von Behandlungser-
gebnissen zusammen mit Daten zu den Lebens-
umständen der Patienten versucht man, für
jeden einzelnen Patienten die individuell beste
Behandlungsstrategie herauszufinden. Dabei
helfen auch molekulargenetische Analysen. Wenn
man herausfindet, welche Genvarianten ein
Patient trägt, lässt sich mehr zur Wirksamkeit der
geplanten Behandlung sagen.
Das Sammeln von Patientendaten ist sicherlich
ein kontroverses Thema. Aber ohne Informatio-
nen, welche Medikamente bei welchen Patienten
gut funktioniert haben, kann der Arzt keine
Behandlung maßschneidern. Für die Zukunft ist in
Arbeit, durch eine Probe von Hautzellen belie-
bige Körperzellen, wie Leberzellen, Nierenzellen,
Muskelzellen zu züchten um an diesen dann
organspezifische Medikamente testen zu können.
Solche Verfahren sind naturgemäß recht aufwen-
dig und damit auch teuer.
Ist der Weg zur personalisierten Medizin somit
zugleich auch ein deutlicher Schritt voran in die
Zwei-Klassen-Medizin?!
W
enn die Großmutter eigenhändig
die Topfenwickel anlegt, dann ist
das sehr nett, aber nicht das, was
man unter dem Begriff „perso-
nalisierte Medizin“ versteht. Ja, gibt es
denn auch eine „anonyme Medizin“?
In gewissem Sinne ja! Man muss sich
dazu vorstellen, wie in den industriali-
sierten Ländern Medikamente entwickelt
werden: Nach Testung zehntausender
Substanzen an Zellkulturen werden eini-
ge wenige davon auch an Versuchstieren
getestet. Erst wenn durch Tests an zwei
verschiedenen Tierarten die Unbedenk-
lichkeit der Substanz nachgewiesen ist,
bekommt der Hersteller die Genehmi-
gung für die Erprobung an Patienten.
Diese läuft in 3 Stufen ab: Phase 1
besteht aus der Verabreichung an eine
kleine Gruppe gesunder Menschen,
die die generelle Verträglichkeit der
Substanz testen sollen. In Phase 2 wird
die Substanz einer kleinen Gruppe von
Patienten gegeben, wobei die Hälfte nur
ein Placebo bekommt, um eventuelle
psychologische Wirkungen der Einnahme
ausschließen zu können. Nun sind schon
Unbedenklichkeit und Wirksamkeit an
Menschen nachgewiesen worden. In der
Phase 3 bekommen sehr viele Patienten
die neue Substanz. Alles was diese
Tester als Nebenwirkungen (von be-
legter Zunge bis Verdauungsstörungen)
angeben, findet Eingang in die Rubrik;
„mögliche Nebenwirkungen“ auf dem
Beipackzettel.
Durch dieses dreistufige Testverfahren
soll das Risiko für die Testpersonen
möglichst gering gehalten werden und
Unbedenklichkeit wie Wirksamkeit nach-
gewiesen werden.