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Betrifft:
ARMUT IST KALT, HUNGRIG, BILDUNGSFERN UND ÜBERSCHULDET
Familienarmut
Reicher Mann und
armer Mann // standen
da und sahn sich an.
// Und der Arme sagte
bleich: // wär ich nicht
arm, wärst du nicht
reich. -
Bert Brecht
nbnbnbn
b
Peter Kopf
Diplomsozialarbeiter
IfS-Schuldenberatung
Vorarlberg
www.ifs.atFoto: © PhotographyByM - Fotolia.com
15 | MÄRZ 2015
S
tellen Sie sich vor, Sie sind die
12jährige Anna. Ihre Mutter ist
Alleinerzieherin. Sie haben zwei
Geschwister – sieben und vier
Jahre alt. Ihre Eltern sind geschieden.
Wo Ihr Vater ist, wissen Sie nicht – er
soll irgendwo im Ausland leben.
Ihre Mutter kann wegen ihrer Kinder nur
Teilzeit arbeiten. Das Einkommen Ihrer
Mutter beträgt 600 Euro. Von der
BH bekommt sie Unterhalts-
zahlungen für Sie und Ihre
Geschwister. Dazu auch
noch Wohnbeihilfe und
Familienbeihilfe. Insge-
samt 2.064 Euro.
Davon müssen Mie-
te, Betriebskosten,
Müllgebühren, ORF,
Versicherungen, Telefon,
Kindergarten, Schule, Bus,
Kreditraten (weil Ihre Mutter
für Ihren Vater gebürgt und die
Waschmaschine vor einem Monat den
Geist aufgegeben hat) bezahlt werden.
Alles in allem betragen die Fixkosten
1.638 Euro. Und jetzt gehen Sie mit Ihrer
Mutter einkaufen. Von den 2.064 Euro
bleiben genau 426 Euro. Das sind pro
Person 106,5 Euro/Monat oder pro Tag
und Person 3,4 Euro…
Ich muss Ihnen sicher nicht sagen, was
Sie davon kaufen können? Und Freunde
einladen? Ins Kino gehen? Ein Handy für
Sie? Gestern haben Sie in der Schule die
Mitteilung für die Wienwoche bekom-
men. Sie trauen sich gar nicht die Ihrer
Mutter zu geben….
Laut Armutsforschung sind in Österreich ca.
500.000 Menschen von Armut betroffen –
1.000.000 Personen sind armutsgefährdet. Und das
Alarmierende daran: 30 % davon sind Kinder und
Jugendliche.
Als arm gilt, wer weniger als 60 % des Einkommens
verdient, das in einem Land zu erzielen ist. Die
Armutsgefährdungsschwelle liegt derzeit bei 1.115
Euro.
Vor allem Haushalte ab drei Kindern,
Ein-Eltern-Haushalte, Frauen ab 65,
Bildungsferne und Einkommens-
schwache und Personen, die
sehr hohe Wohnungskosten
aufzuwenden haben, gelten
als armutsgefährdet.
Armut nur aus finanzieller Sicht
zu beschreiben, greift viel zu kurz.
Armut macht nämlich neben den
finanziellen Einschränkungen viel mit den
Menschen: einsam, krank, pleite. Armut ist
tödlich (Arme sterben früher und sind öfter krank),
Armut grenzt aus.
Um Armut bekämpfen zu können, braucht es ein
ganzes Bündel an Maßnahmen. Bildung (für alle) ist
eine ganz wesentliche davon. Leistbares Wohnen
eine weitere. Arbeitseinkommen, von denen
man auch leben kann eine ganz wichtige.
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Vermei-
dung von Schulabbrüchen, der Zugang
für alle zu allen Gesundheitsdiensten,
Gesetzesänderungen, die überschul-
deten Menschen einen Neustart er-
möglichen (Erhöhung des Existenzmini-
mums, keine willkürlichen Hürden beim
Privatkonkurs) ganz wesentliche Punkte.
Und ganz wichtig: Über Armut reden, damit das
Thema aus dem Tabubereich heraus kommt