information & beobachtung
NUR DIE SPATZEN SIND ZU HÖREN, UNTERBROCHEN VOM GELÄUT
DER KIRCHENGLOCKEN
Still und menschenleer
Sonntagmorgen-Spaziergang:
Ingeborg Halzl
Schreibpädagogin
Foto: Privatsammlung
34 | SEPTEMBER 2015
DIPLOM IN PÄDAGOGISCH
QUALIFIZIERTER
BIOGRAFIEARBEIT
(JUGEND - SENIOREN)
Grundlagen- / Aufbaumodule
INFO / ANMELDUNG
IMPROVE-Bildung mit Zukunft,
office@improve.or.at, www.improve.or.atMein Name ist: Choco
S
eit ca.10 Jahren leben wir zu-
sammen. Ich bin der männliche
Part unserer Beziehung und muss
gestehen, dass ich ihr nicht nur
ergeben, sondern regelrecht verfallen
bin. Ich ordne mich unter und mache bei
allem mit, was ihr Vergnügen bereitet,
denn ich liebe sie.
Sonntags stehen wir besonders früh auf,
weil die übrige Welt am Sonntag länger
schläft. Und weil wir den frischen Mor-
genduft genießen wollen. Doch bevor
wir die Wohnung verlassen können,
spielt sich noch einiges ab. Jeden, wirk-
lich jeden Sonntag flitzt sie durch alle
Räume (es gibt ohne WC acht davon)
und sucht: Handtasche, Schlüsselbund,
geschriebene Briefe, die rote Weste, die
wie immer unauffindbar ist, und wie
immer nimmt sie dann ein Schultertuch.
Ich warte geduldig an der Türe.
Endlich steigen wir in den Lift. Kaum
setzt der sich in Bewegung, heißt es:
„Ach, das Handy.“ Ich weiß natürlich,
was jetzt kommt: sie fährt wieder hoch,
ruft vom Festnetz ihr Handy an und dann
läuft sie dem Klingelton hinterher. In der
Zwischenzeit warte ich unten im Haus-
flur, immer noch geduldig und bevor sie
wieder aus dem Lift steigt, weiß ich, dass
sie nochmals hinauf muss, die Hundeleine
holen. Ich kann es kaum erwarten. Wir gehen
zuerst zum Morzinplatz, weil ich dort meine
Geruchsschmankerl finde. Sie mag den Platz
nicht, weil sie alles stört, was stört: dass das
Denkmal zur Erinnerung an die Gestapo-
Opfer zwar rundum bepflanzt aber nicht ge-
pflegt wird – dass die Sprengeranlage schon
seit April nur teilweise funktioniert – dass die
Grünflächen seltener gemäht werden – dass
ungepflegte Bäume die Sicht auf die Rup-
rechtskirche nehmen!
Wir gehen weiter über den Hohen Markt, wo
sie sich über ein großes Ecklokal ärgert, das
seit Jahren mit dem Vermerk „Vermietet“
vor sich hingammelt und noch schlimmer ist,
dass der Vermählungsbrunnen im Sommer
noch die Winterabdeckung über den beiden
Wasserbecken hat?!
Weiter geht es über den Stephansplatz zum
Graben, den Kohlmarkt, durch die Hofburg
zum Heldenplatz und dort sehe ich sie schon,
meine Freunde, mit denen ich spielen oder
raufen kann. Wie immer sagt sie zu mir:
„Benimm dich“ und ich wedel vergnügt mit
meinem Schwanz. Jetzt muss sie warten. Und
wie immer heißt es für mich, keine Spiele. Ich
mag raufen.