LERNEN MIT ZUKUNFT Ausgabe Juni 2014 - page 4

Eine kritische Betrachtung:
INDIVIDUALITÄT UND FAIRNESS MÖGLICH?
Die zentrale Reifeprüfung
information & beruf
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ZENTRALE TEILPRÜFUNGEN
Doch worin soll dieser Nutzen liegen,
wenn wir eine Prüfung an das äußerste
Ende der Bildungskarriere stellen. Was
haben die jungen Menschen davon,
wenn sie zu diesem Zeitpunkt erfah-
ren, dass sie das Bildungsniveau nicht
erreicht haben? Ist es dann nicht viel zu
spät? Warum evaluieren wir die Quali-
tät des Unterrichts nicht laufend durch
zentrale Teilprüfungen, die die Kernkom-
petenzen in kleinen Portionen, vielleicht
semesterweise und differenziert nach
Schultype prüfen? Und dies niemals zum
Nachteil der Schüler, sondern um das
Niveau zu erfahren, das die Lehrkräfte
zu vermitteln imstande sind.
Ich konnte zudem nie verstehen, wes-
halb ein Schüler, der die 12. Schulstufe
erreicht hat, die Matura nicht schaffen
sollte (und bin aufgrund meiner beruf-
lichen Erfahrung mittlerweile der An-
sicht, dass es keinen jungen Menschen
gibt, der nicht das Potential eines Ma-
turanten in sich trägt!). Ist die Matura
nicht letztlich ein wunderschöner Anlass,
die Bildungskarriere mit einer feierlichen
Prüfung abzuschließen. Wohnt dem
Ganzen nicht ein ungeheurer Symbol-
wert inne?
Nein - ich bin nicht dafür, allen Absol-
venten einer 12. Schulstufe die Matura
zu schenken. Sie soll und darf durchaus
eine Prüfung der Reife der Kandidaten
bleiben. Hier sollten jedoch Individuali-
tät und schulspezifische Schwerpunkte
eine Rolle spielen, um einen feierlichen
Abschluss der Schulkarriere zu ermögli-
chen.
V
iele Menschen, die mich gut ken-
nen und regelmäßig mit mir über
Fragen der Bildungslandschaft
in Österreich diskutieren, haben mich in
den letzen Wochen verwundert gefragt,
warum denn gerade ich ein Gegner der
zentralen Reifeprüfung bin. Habe ich
nicht immer genau das Gegenteil gefor-
dert? Was hat mich zu dieser Meinungs-
änderung gebracht?
Zwei Herzen schlagen - ach! - in meiner
Brust!
Mit dem einen Herzen bin ich Leiter ei-
ner privaten Maturaschule, die seit ihrer
Gründung im Jahr 1933 junge und spät-
berufene Menschen auf externe (quasi
zentrale) Prüfungen vorbereitet. Auf-
grund der dadurch bedingten Trennung
von Vortragendem und Prüfer bilden
wir mit
unseren Schülern Teams,
die
ein gemeinsames Ziel
verfol-
gen: den Prüfungserfolg
der
Kandidaten. An diesem
ist
auch die Qualität unserer
Lehrkräfte abzulesen.
Mein anderes Herz schlägt je-
doch als Vater dreier schulpflich-
tiger Kinder und als Bildungsbe-
rater, der täglich mit Menschen
zu tun hat, die im staatlichen
Schulsystem zu Hause sind.
Auch hier fände ich zentrale
Prüfungen sinnvoll, aber nur
dann, wenn sie einen Nutzen
für die Schülerinnen und Schüler
haben, so wie jede Bildungsmaß-
nahme an diesem Maßstab
gemessen werden sollte.
4 | JUNI 2014
ONLINEZEITUNG:
Foto: © Maksim Smeljov - Fotolia.com
Mag. Matthias Roland
Europa-Akademie
Dr. Roland
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